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Ein Interview mit Nadja Birkenbach-von Kuzenko zum Welt-MS-Tag

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Anlässlich des Welt-MS-Tages haben wir mit Nadja Birkenbach-von Kuzenko gesprochen, die seit 2015 selbst an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist. Sie ist die Initiatorin des MS-Patenprogramm am Klinikum rechts der Isar in München. Dort können sich Betroffene untereinander austauschen und gegenseitig stützen.

Wer bist du?

Mein Name ist Nadja Birkenbach-von Kuzenko, ich bin 49 Jahre alt und bin die Initiatorin des MS Patenprogramms. Zu meinen Hobbys gehören Kochen, Golf spielen, Wandern, Singen (zum Leidwesen mancher Zuhörer – lacht), außerdem habe ich nach 20 Jahren Flugangst die Freude am Fliegen entdeckt und reise nun mit Begeisterung.

Wann hast du deine Diagnose erhalten?

Am Montag, den 21. September 2015, wurde bei mir MS diagnostiziert. Die Diagnose erfolgte nach massiven Sehstörungen mit Doppel- und Wackelbildern. Rückblickend gab es jedoch bereits frühere Anzeichen:

2004 hatte ich schwere Beine, was ich ignorierte.

2006 verspürte ich ein Kribbeln im Gesicht. Das MRT zeigte kleine „Flecken“, die der Radiologe meiner Migräne zuschrieb. Im Winter hatte ich leichte Sehstörungen, die mein Augenarzt als trockene Augen diagnostizierte. Nach drei Wochen mit Augentropfen verschwanden die Symptome.

Im Frühjahr 2015 hatte ich taube Fingerkuppen, was der Orthopäde auf den Nacken zurückführte und behandelte, ohne mich zum Neurologen zu schicken.

21. September 2015: Als ich Prof. Dr. Bernhard Hemmer (Direktor der Klinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar) von meinen tauben Fingern erzählte, fragte er mich damals, warum ich denn nicht zum Neurologen gegangen sei. Ganz ehrlich, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, zum Neurologen zu gehen. Und Prof. Dr. Hemmer meinte weiter: „Frau Birkenbach, wenn Sie Zahnschmerzen haben, gehen Sie doch auch nicht zum Kardiologen.“ Da musste ich wirklich lachen.

Wie hat sich dein Alltag seit der Diagnose verändert?

Alltägliche Symptome wie Schwindel, der durch zu wenig Wasser oder Muskelkater der nach dem Sport entsteht, lösen bei mir oft Panik aus. Obwohl sie häufig nichts mit meiner MS-Erkrankung zu tun haben, verbinde ich sie sofort damit. Wenn ich an die Zukunft  denke, kommen mir oft Fragen hoch, ob die MS meine Lebensqualität einschränken wird und ob ich in 20 Jahren noch alles bewältigen kann.

Wie reagieren Menschen, wenn du von deiner MS erzählst?

Wo ist denn dein Rollstuhl?
Beim Erzählen von meiner MS-Erkrankung begegne ich oft mitleidigen Blicken und Fragen wie „Wo ist denn dein  Rollstuhl?“. Es stört mich ungemein, dass Menschen mit MS oft als behindert abgestempelt werden oder dass Menschen mit MS in den Köpfen der Menschen  automatisch an einen Rollstuhl gebunden sind.

Ja, es gibt Menschen, die im Rollstuhl landen, aber das trifft nicht auf alle zu. Einige MS-Patienten schämen sich sogar und verheimlichen ihre Krankheit am Arbeitsplatz aus Angst, dass sie als nicht belastbar oder unfähig für eine Karriere
angesehen werden.

Es ist ein ständiger Kampf und einige trauen sich nicht einmal, ihren eigenen Eltern von ihrer Krankheit zu erzählen oder nehmen sich für Infusionen sogar Urlaub.

Das sieht man dir ja gar nicht an!
Wenn ich durch einen Supermarkt gehe, kann ich doch auch nicht erkennen, wer MS hat, genauso wenig wie jemand, der an Krebs oder einer anderen Krankheit leidet. Das alte Bild von MS besteht noch immer in vielen Köpfen, begleitet von einer großen Informationslücke und falschen Annahmen,
die ich gerne korrigieren möchte. Deshalb setze ich mich bei art tempi als Patientenvertreterin ein, um Menschen aufzuklären und Mythen über MS zu entkräften.

Ich habe die Hoffnung, dass Multiple Sklerose eines Tages geheilt werden kann.
Nadja Birkenbach-von Kuzenko

Die aktuellen Forschungsergebnisse und Fortschritte in der MS-Forschung machen mich sehr glücklich. Einmal im Jahr nehme ich an einem Treffen im Klinikum rechts der Isar teil, bei dem viele dieser  Fortschritte geteilt werden. Es gibt immer mehr Medikamente und es wird viel getan, um die Krankheit besser zu verstehen und zu behandeln. Die Ärzte und Forscher sind äußerst engagiert.

Diese Fortschritte geben mir Hoffnung für die Zukunft. Ich wünsche mir von Herzen, dass MS eines Tages geheilt wird. Bis dahin hoffe ich, dass die aktuellen Medikamente mildere Verläufe ermöglichen und dass wir Fortschritte bei der Vorhersage und Anpassung von Therapien sehen. Ich wünsche mir, dass alle, die mit MS leben, gut zurechtkommen können.

Verglichen mit der Situation vor 30 Jahren bin ich dankbar für die heutigen Möglichkeiten und Fortschritte.

Welchen Rat gibst du anderen MS-Patienten?

Wenn man mit einer MS-Diagnose konfrontiert wird, ist es wichtig, einen vertrauenswürdigen
Neurologen zu finden, der einen gut betreut. Im Klinikum rechts der Isar fühle ich mich bestens aufgehoben und informiert über die neuesten Therapiemöglichkeiten. Eine passende Therapie
zu finden ist entscheidend, und es ist wichtig, sich in medizinischen Belangen ernst
genommen zu fühlen. Abseits der medizinischen Betreuung spielen auch Lebensstilfaktoren eine Rolle. Wichtig für mein Wohlbefinden ist eine gesunde Ernährung, mit viel Gemüse und wenig Fleisch, sowie regelmäßiger Sport. Ich persönlich versuche, drei bis vier Mal pro Woche Ausdauer- und Krafttraining zu treiben.

Noch mehr erzählt Nadja Birkenbach-von Kuzenko im Podcast mit MS-Perspektive: